
2024 gewannen Maximilian Lewark, Josiane Schmidt und Alexander Throm einen SIA Masterpreis Architektur. Nun sind sie selbst in Lehre und Forschung tätig. Wie erleben sie diesen Perspektivwechsel, und wie definiert die kommende Generation den Architekturberuf?
Von links nach rechts: Die letztjährigen Gewinner eines SIA Masterpreises Architektur Maximilian Lewark, Josiane Schmidt und Alexander Throm. / © Manu Friederich/Josiane Schmidt
Im Herbst 2024 haben Sie mit Ihrer Masterarbeit «Ode to Joy» einen SIA Masterpreis Architektur gewonnen. Wie ist es Ihnen seither ergangen?
Maximilian Lewark: Seit Dezember sind wir als wissenschaftliche Mitarbeitende bei station.plus, dem Lehrstuhl von Arno Brandlhuber, an der ETH Zürich tätig. Hauptsächlich arbeiten wir dort an der europäischen Bürgerinitiative «HouseEurope!», die sich für EU-Gesetze einsetzt, die Umbau und Transformation zur neuen Norm machen anstelle der spekulationsgetriebenen Abriss-Neubau-Praxis, wie sie heute üblich ist. Dieses erste Semester haben wir vor wenigen Wochen abgeschlossen. Die Arbeit mit den Studierenden war sehr spannend und, so kurz nach dem eigenen Abschluss, durchaus auch fordernd.
Sie haben Ihren Abschluss ebenfalls an der ETH Zürich gemacht. Wie erleben Sie diesen Perspektivwechsel, jetzt als Betreuer?
Josiane Schmidt: Für mich ist es interessant zu sehen, dass man einen ganz anderen Fokus hat. Während man als Studierende sehr tief im Projekt ist, versteht man in der Lehrposition, wie wichtig es ist, Inhalte in ein Narrativ zu verpacken und vermitteln zu können. Aber die schönste Erfahrung war unsere integrierte Seminarwoche: Wir sind mit den Studierenden in sieben EU-Länder gereist. Sie haben dort mit Studierenden anderer Universitäten Veranstaltungen organisiert, um über Transformation, Renovierung und über «HouseEurope!» zu sprechen. Zu sehen, wie die Studierenden Verantwortung übernehmen und in der Lage sind, Dinge im echten Leben umzusetzen, Ausstellungen zu machen, Diskussionsrunden zu organisieren, fand ich sehr beeindruckend.
Was haben Sie selbst am Studium geschätzt? Hat Sie das Studium adäquat auf die Berufstätigkeit vorbereitet?
Alexander Throm: Wir schätzen vor allem die grosse Vielfalt und die Auswahl an verschiedenen Dingen, die wir machen konnten. Wir drei haben zusammen an fünf verschiedenen Universitäten studiert: Unseren Bachelor haben wir an der TU München gemacht. Während diesem waren wir alle ein Jahr an unterschiedlichen Hochschulen im Ausland. Danach sind wir zum Masterstudium an die ETH Zürich gewechselt. So konnten wir mehrere Realitäten von dem, was dieser Beruf sein kann, erleben, und im Studium verschiedene Schwerpunkte setzen. Gerade an der ETH haben wir das weite Spektrum der Architektur und die unterschiedlichen, auch experimentelleren Ansätze, sehr geschätzt.
Für Ihre freie Masterarbeit haben Sie sich für eine politisch-legislative Aufgabe entschieden. Gehört diese Art der politischen Beteiligung Ihrer Meinung nach in den Aufgabenbereich einer Architektin, eines Architekten?
Alexander Throm: Sich politisch einzubringen ist für Architektinnen und Architekten sehr wichtig. Denn auf der gesetzlichen Ebene werden die Rahmenbedingungen für Planung und Bau gesetzt. Das war auch bei unserer Masterarbeit so. Nach dem Research-Semester haben wir darüber diskutiert, wie wir den Entwurfsteil der Masterarbeit angehen wollen. Wir hätten ein Projekt vorschlagen können, das unseren Vorgaben an die Nachhaltigkeit entspricht. Aber das wäre nicht realistisch gewesen, denn die Rahmenbedingungen dafür waren nicht gegeben. Also haben wir uns dafür entschieden, diese kritisch zu hinterfragen und sogar zu versuchen, sie zu verändern.
Josiane Schmidt: Unsere Arbeit ist insofern besonders, als dass es sich um ein reales Projekt handelt, das aktuell noch in der Entwicklung ist. Also nicht nur ein echtes Projekt, das abgeschlossen ist, zu dem man anschliessend eine Position entwickelt, sondern ein realer Vorgang mit mehr als 30 Akteuren, die wir in der Anfangsphase unserer Arbeit auch eingebunden haben. Die Freiheit, die wir durch den universitären Kontext hatten, wollten wir dazu nutzen, eine Alternative auszuarbeiten, die in der Realität Bestand hat und einen Mehrwert bietet. An einem gewissen Punkt haben wir uns also dafür entschieden, uns nicht in die Fiktion zurückzuziehen, sondern das zu entwerfen, was sinnvoll ist für diesen Vorgang. Und das war eben ein Eigentumsmodell und dann eine Case Study.
Wie ist es mit Ihrer Arbeit weitergegangen? Hat sie Spuren in Brüssel hinterlassen?
Maximilian Lewark: Im vergangenen Herbst hatten wir die Chance, im Rahmen der Architekturwoche in Brüssel eine kleine Ausstellung von «Ode to Joy» zu machen. Dort kamen auch Architektinnen und Architekten vorbei, die in dem echten Projekt involviert waren. Auch Leute von der Europäischen Kommission waren da. Wir haben dort eine Diskussionsrunde organisiert, zum Beispiel mit jemandem von Perspective Brussels, dem Äquivalent des Stadtplanungsamts.Daraufhin haben wir uns mit unserem Projekt «21 Buildings» erfolgreich für den Flemish Arts Degree beworben – eigentlich eine Kulturförderung, die aber auch Architekturprojekte unterstützt. Unsere Idee war es, den «Cityforward» - Verkaufsprozess während zwei Jahren kritisch zu begleiten. Wir wollten eine gewisse Öffentlichkeit herstellen für das, was mit diesen Gebäuden passiert, für die Rolle und die Verantwortung, die die jeweiligen Institutionen dabei innehaben. Zum einen in Form von vier öffentlichen Veranstaltungen, zum anderen möchten wir weiterhin einen Gegenvorschlag verfolgen, der zeigt, wie öffentlich zugängliche Räume oder leistbarer Wohnraum in diesen ehemaligen Bürogebäuden geschaffen werden können. Der nächste Punkt ist dann, im Herbst öffentliche Führungen zu organisieren. Damit wollen wir zeigen, was mit diesen Gebäuden passiert und welche anderen Narrative wir anbieten können. Es gibt weitere als nur die Reproduktion von Bürogebäuden und hochpreisigem Wohnen.
Was wünschen Sie sich für Ihre berufliche Zukunft?
Maximilian Lewark: Optimismus. Wir haben gerade mit einem vierten guten Freund eine Kollektivgesellschaft gegründet. Sie heisst «optimist office». Unser Plan ist es, weiterhin in verschiedenen Formaten daran zu arbeiten, wie wir mit dem Gebäudebestand umgehen können, um ihn sozial und ökologisch nachhaltig zu transformieren. Durch die Teilzeitanstellung an der ETH Zürich ist das möglich, wir sind da in einer privilegierten Lage. Wir möchten weiterhin Projektstudien, Recherchearbeit, Wettbewerbsvorschläge machen, auch mit Gegenprojekten arbeiten, wie wir das in der Masterarbeit und bei «21 Buildings» gemacht haben. Um zu beweisen, wie gross das Potenzial des Bestands ist und ein optimistisches Narrativ dafür zu finden.
Haben Sie noch einen Ratschlag an die aktuellen Masterstudierenden?
Josiane Schmidt: Wir möchten ein Plädoyer halten für die freie Masterarbeit. Hochschulpolitisch steht sie immer wieder unter Druck, auch an der ETH Zürich. Aber wir können sie nur empfehlen. Die Chance, ein Jahr lang die Ressourcen zu haben, um ausschliesslich an einem Thema zu arbeiten, ist wahrscheinlich einmalig. Natürlich muss man einiges selbst organisieren und sich sehr engagieren, aber wir denken, es ist eine super Chance.
SIA Masterpreis Architektur 2024:
«Ode to Joy»
Alexander Throm, Maximilian Lewark, Josiane Schmidt | ETH Zürich | Betreuung: An Fonteyne, Arno Brandlhuber
Bis 2030 soll die EU-Kommission in Brüssel klimaneutral sein. Das bedeutet, dass ein Grossteil des eigenen Gebäudebestands energetisch ertüchtigt werden müsste. Da dies mit Kosten verbunden und das Zeitfenster eng ist, entschieden sich die Verantwortlichen für eine ebenso effektive wie günstige Lösung: Sie verkaufen den Teil des Gebäudebestands, der in Sachen Energiebilanz unter den Kennwerten liegt. Der Verkauf sendet nicht nur ein fragwürdiges Signal im Verhältnis auf Klimaneutralität. Es wird zudem ein langfristiger Einfluss auf die Entwicklung des Stadtviertels abgegeben und an private Entwickler übertragen, die nach anderen Massgaben kalkulieren.
Die drei Autor:innen der Masterarbeit «Ode to Joy» – eine Anspielung auf Ludwig van Beethovens «Ode an die Freude», seit 1985 die offizielle EU-Hymne – griffen das Thema auf und zeichneten die Vorgänge im Stil des investigativen Journalismus nach. Dabei sprachen sie mit rund 30 Verantwortlichen aller Lager und dokumentierten diese Gespräche in Videos. Parallel dazu entwickelten sie am konkreten Beispiel eines Blocks ein Instrumentarium, das erlaubt, nicht mehr gebrauchte Bürofläche zu leistbaren Wohnungen und öffentlichen Räumen umzunutzen.Einen Film zum Projekt und die detaillierte Recherche gibt es auf der Projektwebsite.
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